Ideen & Impulse

Jahrhundertealtes Bewässerungssystem in kooperativer Verwaltung in Naters, Schweiz.(Quelle: Commons-Institut.e.V.)

Impulsreferat von Bettina Müller-Sidibé, Mai 2017

Klimawandel und sozialökologischer Umbau – Was gibt es an Ideen und Bewegungen?

Einleitung:

Das Thema ist breit und es gibt viele Initiativen, Ideen und Theorien, wie dem Klimawandel zu begegnen sei. Ich beschränke mich auf drei alternative Kernideen und –bewegungen:

1. Klimagerechtigkeitsbewegung und Postwachstumsansatz

2. Commons-Ökonomie

3. Care-Ethik

1. Klimagerechtigkeitsbewegung und Postwachstumsansatz

Kern des Kampfes gegen Klimawandel ist der Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft. Hier gibt es erfreulicherweise viele Initiativen (BUND, Campact, Bürgerinitiativen), die z.B. Aktionen unter dem Motto „Kohleausstieg ist Handarbeit“ durchführen. Das Bündnis „Ende Gelände“ oder das europ. Netzwerk „Break free from fossil fuels“ bilden eine Brücke zwischen aktivistischem Spektrum und etablierten Organisationen. Auch die Partei der Grünen fordern den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft als nächsten wichtigen Schritt. Und die große

Versicherungsgesellschaft AXA hat gerade beschlossen, Firmen und Projekte, die im wesentlichen Kohle produzieren, nicht mehr zu versichern- ein Riesenschritt. Also alles paletti?

Die Berliner Wissenschaftlerin Prof. Claudia Kemfert hat ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „das fossile Imperium schlägt zurück“. Dort warnt sie vor den Gegenkräften gegen die Energiewende, die sich formieren (1). Mit Trump und auch Teile der Politik hier ( u.a. FDP) merken wir dies gerade. Umso wichtiger ist die Gegenbewegung.

Ein Teil der Klimabewegung geht über das reine Ausstiegsthema hinaus und formuliert langfristige Perspektiven. Insbesondere die Postwachstumsbewegung oder auch degrowth entwickeln neue Ideen für ein anderes, nachhaltiges Wirtschaften. Der Postwachstumsansatz hebt hervor, dass die Forderung nach Klimagerechtigkeit die soziale Frage nicht ausklammert- im Gegenteil. Es geht darum, ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Kern der Bewegung sind Klimacamps. Seit 2011 treffen sich die Aktivisten jedes Jahr zu einem Klimacamp. Dort verbinden sich nachhaltiges Zusammenleben, alternative Bildungsangebote und direkte Aktionen.

Inhaltlich lassen sich die „system-strukturellen“ Lösungsansätze folgendermaßen zusammenfassen (2): (i) vom quantitativen zum qualitativen Wachstum (z. B. hochwertigere, langlebigere, umweltfreundlichere Produkte)

(ii)vom quantitativen zum selektiven Wachstum (einige Bereiche wachsen, andere stagnieren oder schrumpfen): z.B. Bildung und Pflege, erneuerbare Energien wachsen (iii)Nachhaltigkeit als neues Leitbild der Wirtschaftspolitik

Wissenschaftlich werden wachstumskritische Konzepte unter anderem von Wirtschaftswissenschaftlern wie Niko Paech (Postwachstumsökonomik), Gerhard Scherhorn, Sabine Hofmeister, Uwe Schneidewind und dem Schweizer Hans Christoph Binswanger thematisiert. Sie orientieren sich an der Strategie der Suffizienz und dem partiellen Rückbau industrieller, insbesondere global arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozesse zugunsten einer Stärkung lokaler und regionaler Selbstversorgungsmuster. Die Vision ist: vom Konsumenten zum Prosumenten, der z.B. 20 Std. pro Woche abhängig arbeitet und die freie Zeit nutzt für den Anbau von Gemüse und Obst, für die Reparatur von Gegenstände und für die Pflege sozialer Beziehungen.

Degrowth (3) steht dafür, dass die Teile der Wirtschaft, die für ein gutes Leben notwendig sind, wachsen. Erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft, solidarische und genossenschaftliche Betriebe, öffentlicher Personennahverkehr, Bildung, Gesundheits-und Altersversorgung etwa sind Bereiche, die am Gemeinwohl ausgerichtet werden und ein stärkeres Gewicht bekommen sollen. Dieses Wachstum kann durch unterschiedliche politische Maßnahmen wie Subventionen, Steuern und öffentliche Infrastrukturen beschleunigt werden. Aber es gibt auch Bereiche, die aus Degrowth-Perspektive überflüssig werden sollten, wie beispielsweise Atom- und

Kohlekraftwerke, die Rüstungsindustrie, industrielle Landwirtschaft, geplante Obsoleszenz (die absichtliche Verringerung der Lebensdauer von Produkten). Andere Wirtschaftszweige sollen stark begrenzt werden, etwa motorisierter Individual-verkehr, Flugverkehr, internationale Gütertransporte oder Werbung.

Konkrete Forderungen umfassen die Umverteilung von Vermögen, Arbeit und Zeit, d.h. (5)

– die Einführung einer Vermögenssteuer und langfristig die Forderung nach Vermögensobergrenzen

– Arbeitszeitverkürzung: mehr Zeit für politisches Lernen, Sorgearbeit und politisches Engagement; Abschaffung prekärer Jobs und Billiglohn

– Sozial-ökologische Steuerreform: Senkung der Abgaben und Steuern auf Arbeit und Erhöhung der Steuern auf Kapital und Umweltverbrauch. Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau; z.B. Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft

2. Commons-Ökonomie oder Commons-Bewegung

Die Commons-Bewegung geht auf die US-Ökonomin Elinor Ostrom zurück und setzt am Eigentumsbegriff an. Es gibt Güter und Produktion jenseits von privaten oder öffentlichen Gütern (6). Es sind Gemeingüter oder Allmendegüter.

Sie erhielt für ihre Untersuchungen über Allmendegüter 2009 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sie zeigte, dass traditionelle Allmendegüter – Weide- oder Forstland, küstennahe Fischbestände, Bewässerungssysteme, Wege, Gebäude und so weiter – über Jahrhunderte von Gemeinschaften kollektiv genutzt und nachhaltig gepflegt wurden. Und dies in selbstorganisierten Systemen, in denen Regelverletzungen zwar bestraft wurden, es aber keine staatliche Kontrollinstanz gab. Ostroms Studien kreisten auch um die Frage, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit selbstorganisierte Systeme des Gemeineigentums funktionieren können: Zum Beispiel müssen die Regeln gemeinsam entwickelt werden und veränderbar sein. Es muss eine gewisse Überwachung geben; und die Möglichkeit von Strafen, die allerdings nicht zu restriktiv ausfallen sollten und so weiter (7 ).

Sie entwickelte die These, dass polycentrisch organisierte Staaten oder Gemeinwesen besser und effizienter wirtschaften als zentralisierte Einheiten (8). Insofern verwundert es nicht, dass sie als Lösung für die heutigen Umweltprobleme sehr stark die lokale Ebene betrachtet hat. Elinor Ostrom hat sich –bevor sie 2012 starb- zu Rio +20 Gipfel geäußert (9): Da die Welt global verflochten ist, sei es wichtig ein robustes System zu entwickeln, das sich schnell anpassen kann. Eine Vielzahl von sich über-lappenden politischen Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen, angefangen von Städten, Regionen, Ländern und internationalen Institutionen sei eher sinnvoll als z.B. ein einziges globales Agreement. Wichtig sei ein Netz an Akteuren. Und für Elinor Ostrom sind dies die Städte. Städte sind für 70% der Treibhausgasemissionen

verantwortlich und sind die Ersten Opfer des Klimawandels. Beispielsweise hätte es in 2012 in den USA noch kein nationales Mandat zur Reduktion des CO2 Ausstoßes gegeben, aber 30 US-Staaten hatten bereits ihren eigenen Klimaaktionsplan und 900 US Städte hatten das US-Climate Protection Agreement unterzeichnet. Sie glaubte, dass sich ein globales System von verflochtenen nachhaltigen Städten entwickeln wird (interconnected sustainable cities).

So sehr Elinor Ausgangsreferenz für die heutige Commons-Bewegung ist, so hatte sie doch nur entfernt mit der heutigen Common-Bewegung zu tun. Sie hat Commons als gleichwertig zu privaten und öffentlichen Gütern gesehen und nicht als Alternative zum Kapitalismus.

Gegenwärtig kann Commons – dieser Begriff ist inzwischen auch im Deutschen gebräuchlich – als ein auf Gleichberechtigung und Selbstorganisation basierendes Konzept verstanden werden, das im Widerspruch zur kapitalistischen Warenlogik steht (10). Commoning bedeutet dann eine andere Art des gemeinsamen Lebens und Handelns. Wesentliche Prinzipien der Selbstorganisation jenseits von Markt und Staat sind:

-beitragen statt tauschen

-Besitz statt Eigentum

– teile, was Du kannst- nutze, was du brauchst

Die Vision der Commoners ist eine Welt, die nicht hierarchisch ist, sondern netzwerkartig über funktional differenzierte Verbindungspunkte selbstorganisiert ist und in der die individuellen Bedürfnisse aller Personen durch Commons befriedigt werden können. Diese Welt würde sich zudem durch selbstbestimmte und verantwortungsvolle Tätigkeitsverhältnisse auszeichnen, die Freude und Sinn bringen, ohne Ressourcen zu übernutzen oder Ökosysteme zu zerstören. Die Commons-Bewegung vertraut in die menschlichen Potenziale und übersetzt den Nachhaltigkeitsgedanken in die Sprache menschlicher Bedürfnisse: Es gibt ein Bedürfnis, den Planeten zu erhalten, das nur befriedigt werden kann, wenn wir unsere individuelle wie kollektive Bedürfnisbefriedigung im Einklang mit den Grenzen der Erde organisieren. Commoning ist eine konkrete Art und Weise, mit Menschen und nicht menschlicher Natur umzugehen, die nicht auf einem abstrakten Wachstumszwang aufbaut, sondern anerkennt, dass wir Menschen ein (re)produktiver Teil der Erde sind.

Dieser Ansatz hat vieles mit der degrowth Bewegung gemeinsam. Insbesondere der Fokus auf „Buen vivir“ ist Beiden gemeinsam. Der wesentliche Unterschied liegt m.E. darin, dass eher konkrete Projekte und Lebensstile gelebt werden und weniger politische Arbeit im Zentrum steht oder wie Leslie Gauditz und Johannes Euler vom Commons-Institut es ausdrücken: „Vielen Aktivist*innen ist ein vorbildliches Handeln im Alltag wichtiger, als auf der Straße zu demonstrieren. Das heißt, dass es den Träger*innen der Commons-Bewegung ein Anliegen ist, durch gegenwärtige Handlungen in Entscheidungsprozessen und zwischenmenschlichen Beziehungen Räume zu schaffen, in denen Aspekte utopischer Ziele gelebt werden können: „In

meinem eigenen Leben praktiziere ich, was ich im Großen sehen will.“ Das Wichtige ist, dass die sozialen Praktiken des Commoning, deren Logik die kapitalistische unterläuft, als solche gesellschaftsverändernd wirken sollen.“

Wie sieht das konkret aus? Bekannte Beispiele sind die Projekte des Urban Gardening oder auch der digitalen Projekte der Hacker- und Open Hardware Szene (Linux). Z.B. das Open Source Ecology Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, fünfzig industrielle Maschinen zu bauen, die ein kleines Dorf braucht, damit die Bewohner*innen nachhaltig sowie relativ autark ein gutes Leben führen können.

3. Care-Ethik und Care- Revolution

Die Betonung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Degrowth und auch Commoning Bewegung ist der Dreh-und Angelpunkt bei dem Begriff der Care-Ethik. Die Care-Ethik lenkt den Blick auf die sozialen Prozesse(6). Ursprünglich aus dem feministischen Kontext stammend handelt es sich um eine Moralphilosophie des Sorgens, die im Unterschied zum Denken des autonomen Subjekts der liberalen Aufklärung die Bedeutung gegenseitiger Abhängigkeiten betont. Während traditionelle ethische Ansätze vom Individuum ausgehen und sich mit der Frage beschäftigen, ob das Handeln des Einzelnen tugendhaft ist, was es für Konsequenzen nach sich zieht oder welche Motive den Handelnden bewegen, stellt die Care-Ethik die sozialen Beziehungen in den Mittelpunkt. Für sie geht es darum, wie das Geflecht sozialer Bindungen bewahrt werden kann.

Oder wie es Raul Zelig (6) auf den Punkt bringt: „Der Liberalismus misst den Erfolg der Gesellschaft anhand der Mehrung des Wertes, der Sozialismus ihn am Wachstum der Güterproduktion. Auf der Grundlage der Care-Ethik hingegen würde eine Ökonomie vor allem danach beurteilt werden, ob sie soziale Bindungen stärkt, die Sorge um Schwache sicherstellt und die Natur schützt.“

Damit knüpft die Care-Ethik an die Postwachstumsbewegung an(11). Auch für die Vertreter der Care-Ethik sind in Anbetracht des Klimawandels die ökologischen Grenzen des Wachstums nicht länger zu leugnen. Kern-Gemeinsamkeit ist das ursprünglich aus Lateinamerika stammende Konzept des „buen vivir“, des guten Lebens. Traditionelle indigene Gesellschaften des Andenraums verwenden den Begriff, um eine harmonische Existenz in Einklang mit Gemeinschaft und Natur zu beschreiben. Während unser Wohlstand über Konsum definiert ist, erinnert der Begriff des buen vivir daran, dass ein erfülltes Leben für das Gattungswesen Mensch vor allem durch verlässliche und inspirierende Sozialbeziehungen, durch körperliches Wohlbefinden und das Eingebettet sein in eine vielfältige Natur charakterisiert ist.

Nimmt man diesen Gedanken ernst, müssten wir uns ganz neu darüber verständigen, was eigentlich die Bedürfnisse sind, die zu befriedigen wären. Denn unsere Wunschproduktion heute ist von einer profitorientierten Werbe- und Kulturindustrie völlig kolonisiert (6).

2014 trafen sich 500 Menschen aus verschiedenen Bereichen der Reproduktion zu einer Aktionskonferenz Care-Revolution (12), die eine Resolution veröffentlichten,

die die Kernziele enthält: Sorgearbeit aufwerten, Zeit gewinnen, guten Wohnraum für alle schaffen, Bildung als Menschenrecht.

Konkrete Forderungen sind dabei:

-ausreichendes Einkommen (Bedingungsloses Grundeinkommen)

– Arbeitszeitverkürzung

– Ausbau der sozialen Infrastruktur

ein ausgebautes und kostenlos nutzbares Bildungs- und Gesundheitssystem, finanzierbaren Wohnraum, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und die Unterstützung von Selbsthilfenetzwerken und Commons-Projekten.

Über eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums sei dies realisierbar.

-Echte Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungen: eine umfassende demokratische Selbstverwaltung

 

Quellen:

1) Frankfurter Rundschau v. 29./30.April 2017 Interview mit Claudia Kemfert „Es herrscht Krieg um Energie“

2) Wikipedia.org/wiki/Wachstumsrücknahme

3) Wikipedia.org/wiki/Nico_Paech

4) www.degrowth.de

5) Frankfurter Rundschau v. 23.Mai 2017 „Gastwirtschaft“ Beitrag von Nina Treu

6) www. Deutschlandfunke.de Raul Zelik: Ökonomisches Weltsystem Postkapitalistische Perspektiven

7) www.thecommonsjournal.org/articles Ostrom’s Law: Property rights in the commons

8) www.indiana.edu/-workshop/publications/materials/volume2.html Michael McGinnis: Polycentricity and Local Public Economies

9) Project Syndicate Jun 12, 2012 Elinor Ostrom: Green from the Grassroots 10) www.Commons-Institut.org Artikel von Leslie Gauditz und Johannes Euler

11) Matthias Neumann: Care Revolution, décroissance et société solidaire in Moins!Journal romand d’écologie politique 12) https://care-revolution.org